XVII. Konferenz des Europäischen Forums für Religionsunterricht in Schulen
Religionsunterricht in Schulen als Begleiter auf dem Weg nach Emmaus
Europäische Gesellschaft zwischen schnellem Wandel und christlicher Identität. Kattowitz (Polonia), 30. März – 3. April 2016
- Die Atmosphäre des Religiösen und die Suche nach Orientierung unter Jugendlichen heute ergibt je nach geografischem und kulturellem Ambiente ein recht differenziertes Bild. In Ländern wie Irland, Italien, Polen spielt, im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, der Glaube noch eine bedeutende Rolle. Doch stellt sich individuell die Glaubenswelt weitgehend als zerrissen dar. Die Jugendlichen können oft nicht ihre Sehnsucht nach einem Leben, das wirklich lebenswert ist, zum Ausdruck bringen. Oft sind sie eher traurig und enttäuscht, zuweilen gar zynisch und still verzweifelt. Es ist dann, als wären sie auf der Flucht vor der Welt der Glaubenssicherheiten, wie die beiden Emmausjünger, sie sich nach dem Tod Jesu verstört und verbittert aus Jerusalem, dem Inbegriff der Glaubenssicherheit, auf die sie sich bisher verlassen hatten, davon machten (vgl. Lk 24,13ff).
- Dennoch sind viele Jugendliche getragen vom Verlangen nach dem Guten, dem Schönen, dem Wahren (Werte, Ideale, Hoffnungen, Lebensziele…). Oft bleibt ein solches Verlangen verworren, unausgesprochen, von ihnen selbst nicht recht verstanden und ohne verständnisvolle Begleitung von Seiten der Erwachsenen. Gerade das lässt uns das Gewicht unserer Verantwortung spüren. Wir wollen sie mit den ersehnten Idealen vertraut machen und ihnen Rechenschaft geben vom Grund unserer Hoffnung, die aus dem Evangelium kommt (vgl.1 Petr 3,15).
- Zwei Aufgaben sind vordringlich, wenn wir junge Menschen auf ihrem Weg des Wachsens und Reifens begleiten wollen:
– Ihre geistlichen Antennen justieren, damit sie beim Hören auf ihre innere Stimme besser ihr inneres Unbefriedigtsein verstehen und ihre Suche nach Glück zutreffender zum Ausdruck bringen können.
– Ihnen „Programme“ (canali, um beim Bild zu bleiben) von dichter Erfahrung des Humanen, Spirituellen und Religiösen vermitteln, die sie interessieren und sie ansprechen, weil sie zu ihrer Lebenswelt gehören. - Die Kirche ist communio et ministratio (vgl LG Nr. 4): umfassende und überzeugte Zugehörigkeit zum kirchlichen „Körper“, aber auch dialogbereite Offenheit und Dienst an der Welt. Die geschwisterliche Begegnung auch mit denen, die noch nicht oder nicht mehr in voller Verbindung mit ihr stehen, ist ein wesentliches Element des Geheimnisses der Kirche. Es wäre daher wünschenswert, im Religionsunterricht nicht nur die Glaubenssakramente, die die volle Zugehörigkeit zur Kirche betreffen, zubehandeln, sondern auch wieder auf sakramentale Zeichen im weiteren Sinne zurückzugreifen, die in indirekter Weise bei der Suche nach einem Transzendenzbezug und nach Öffnung für die spirituelle Dimension des Lebens behilflich sein können.
- Die Begleitung der Mädchen und Jungen im Religionsunterricht muss zukunftsoffen und plausibel sein. Ihnen vorwiegend Lehrsätze und Gebote des Religiösen vorzusetzen, ist kontraproduktiv. Zunächst gilt es, sich ihrer inneren Welt zu nähern, etwa über ästhetische Erfahrungszugänge mit Werken der Kunst, im Eingehen auf ihre musikalischen Vorlieben, in körperlichen Ausdrucksübungen usw.
Von diesen Selbsterfahrungen lässt sich ein Weg zum „darüber hinaus“ eröffnen (Spiritualität, Transzendenz, Gottesbegegnung). Sonst kann es passieren – anders als bei den Emmausjüngern, die den noch unbekannten Weggefährten baten: „Bleibe bei uns…“ (Lk 24, 29) –, dass die Jugendlichen sagen: „Du kannst gehen, wir brauchen dich nicht.“ - Bei dieser Art des Unterrichtens in der öffentlichen Schule für alle wie sie hier vorgeschlagen wird, kann die spirituelle Begleitung nicht mehr im herkömmlichen Sinne stattfinden. Sie muss vielmehr in einer Art des erschließenden Lehrens und Lernens geschehen, wie sie in der schulischen Didaktik praktiziert wird. Dadurch können die Schülerinnen und Schüler vielleicht religiöse Grunderfahrungen machen, die ihnen zuhause in der Familie und in der Pfarrgemeinde nicht mehr vermittelt werden.
- Dazu bedarf es einer Neugestaltung der Wechselbeziehung zwischen schulischem Religionsunterricht und kirchlicher Jugendarbeit. Ihre Unterschiede und gegenseitigen Ergänzungen müssen klar sein.
- In diesem Curriculum spielt die Religionslehrerin/der Religionslehrer eine entscheidende Rolle. Wenn sie/er in der Schule auch nicht Katechese (Glaubensschulung) zu vertreten hat, so ist sie/er dennoch gerufen zum Zeugnis des eigenen Glaubens.
- Wer immer Religion unterrichtet, sollte sich selbst nicht nur als Begleiter, sondern auch als Begleiteter verstehen. Das verlangt nach einer ständigen Fortbildung der Lehrkräfte, auch was das eigene spirituelle Leben betrifft.
- Die Erfahrung des eigenen Unvermögens hilft oft, bessere Frauen und Männer zu werden. Die Grenzerfahrungen können zu Transzendenzerfahrungen werden und zu einer tieferen Einsicht in den Sinn des menschlichen Lebens führen. Auch im Begleiten der Jugendlichen im Rahmen der Schule gehört dazu, sie mit Erfahrungen des Unvermögens, des Krank- und Armseins zu konfrontieren und ihnen zu helfen, in sich selbst den Reichtum einer Sinngebung zu entdecken, die das Leben wertvoll macht.
In diesem Zusammenhang weisen wir beispielhaft auf das Programm von PILGRIM (www.pilgrim.at) hin, das einlädt, sich der Verletzbarkeit der Schöpfung bewusst zu werden und Verantwortung für sie zu übernehmen, ebenso wie für die Schüler, die unter Autismus oder anderen Behinderungen zu leiden haben. Generell hat jedes erzieherische Bemühen hinzuführen zur Wertschätzung der Verantwortung gegenüber den Schwächeren.
Kattowitz, den 03. April 2016